misereor in Recklinghausen

Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer misereor
Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer misereor

Die Zusammenarbeit der Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Kreise im Stadtkomitee der Katholiken mit dem Internationalen Entwicklungshilfeorganisation misereor ist besonders intensiv.  misereor („misereor“ – lateinisch für „Ich erbarme mich“) hat sich seit der Gründung 1958 zu einer der weltweit größten Hilfsorganisationen entwickelt. Seither wurden 110.000 Projekte in Asien, Afrika, Ozeanien und Südamerika unterstützt.

Eine besondere Informationskampagne ruft alljährlich in der Fastenzeit vor Ostern zu praktischer Solidarität auf. Dazu gehören auch Veranstaltungen in allen Kirchengemeinden  und die besondere Kollekte vor Ostern.

 

Mit besonderen Veranstaltungen unterstützen Arbeitsgemeinschaft und Stadtkomitee der Katholiken alljährlich die Eröffnung der Kampagne. Dazu gehörten Gottesdienste, Filmvorführungen, Konzerte und Konzertlesungen, Gemeinschaftsveranstaltungen mit Schulen, stadtweite Sponsorenläufe an verschiedenen Veranstaltungsorten.

 

Aktionen „Trommelreise“ und „Solibrot-Aktion mit den Kindergärten 2017

Die verlässlichen Kooperation von MISEREOR, der Arbeitsgemeinschaft und dem Stadtkomitee hat wiederholt zu Gemeinschaftsveranstaltungen mit den Hauptgeschäftsführern, wie Prälat Norbert Herkenrath (1982-1997), Josef Sayer (1997-2012) und jetzt Pirmin Spiegel in Recklinghausen geführt. Spiegel begleitete die große Misereor-Eröffnung 2019 in der Liebfrauenkirche.

In einem Interview mit Maria Voß in der Recklinghäuser Kirchenzeitung „geistREich“ zur Fastenaktion „Es geht! Anders“ führte er im März 2021 aus:

„Es geht darum, dass eine andere Welt möglich ist. Und es liegt auf der Hand, diese zu gestalten. Wir laden dazu ein, über die Neuausrichtung unserer Lebens-weisen nachzudenken in dieser Fastenzeit.“

 

Auf die Frage nach seiner Hoffnung antwortete Pirmin Spiegel:

„Zum einen, dass die Solidarität anhält und die Sensibilität dafür, dass Corona eine Herausforderung ist, die weltweit besiegt werden muss. Ebenso, dass die Menschen im Süden unsere Aufmerksamkeit brauchen – ohne schwerwiegende Nöte hier bei uns hintanzustellen. Auf der politischen Ebene hoffe ich, dass es vorangeht mit dem Lieferkettengesetz, das sich stark macht für Menschenrechte und Umweltverträglichkeit:

Aufruf zur stadtweiten MISEREOR-AKTION 2019 in und an der Liebfrauenkirche: v.l.n.r.: H. Feldbrügge/G. Möllers/M.Voß (AG Eine Welt) u. Pfarrer O. Paschke (RZ-Foto J. Gutzeit)

 

Nach dem Prinzip der HILFE ZUR SELBSTHILFE unterstützt Misereor die Ärmsten der Armen mit Projekten vor Ort. Zentrale Themen in der Projektarbeit sind der Kampf für Menschenrechte, für jeden Menschen zugängliches Trinkwasser, der Kampf gegen AIDS, Klimawandel oder die Armut in Städten. Schlüsselbereiche sind ländliche Entwicklung, das Gesundheitswesen, die Berufs- und Erwachsenenbildung, die Kleingewerbeförderung, Selbsthilfewohnbau, Projekte der Sozialarbeit, Frauenförderung, Menschenrechtsarbeit sowie die Schulung örtlicher Führungskräfte. Die ortsansässigen Projektpartner kommen aus Kirchen, Selbsthilfeinitiativen, Kooperativen, Menschenrechtsgruppen und anderen nichtstaatlichen Organisationen.

MISEREOR versteht sich ebenso als Anwalt der Bewusstseinsbildung über die Ursachen von Verarmung, Unterdrückung und Zerstörung. Dazu gehören die Teilnahme an internationalen Diskussionen über Entwicklungspolitik, die „Lobbyarbeit“ im Interesse der Armen und die aktive Beteiligung an den Willensbildungsprozess in unserer demokratischen Gesellschaft.

 

Beitrag von Prof. Dr. Ulrich Lüke, 1986 Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Kreise Recklinghausen, in seiner vierzehntägigen Kolumne in der Recklinghäuser Zeitung über MISEREOR:

 

Mitleid? Los!

 

„Misereor super turbam!“ Zu Deutsch: Mich erbarmt des Volkes. Oder: Ich habe Mitleid mit diesen Menschen. Dieses Jesus-Wort aus dem MarkusEvangelium (Mk 8,2) ist der Beginn einer der Brotvermehrungsgeschichten. Jesus speist die Menschen, die ihm schon drei Tage lang teils von weit her gefolgt waren und keine Nahrungsmittel mehr hatten. Er fühlte sich nicht nur für ihr seelisches, sondern auch für ihr leibliches Wohl zuständig. Jesus plädiert nicht für das Brot-Horten sondern das Brot-Teilen. Und nur so geschieht das Brotwunder; nur durch das Teilen erhält jeder die lebensnotwendige Zuteilung. Dieses Wort bewegte 1958 den Kölner Generalvikar, Joseph Teusch, als er mit den Bildern und Berichten des Journalisten Jakob Holl über die hungernden Menschen in Indien konfrontiert wurde. Teusch wandte sich an Kardinal Frings, der die Deutsche Bischofskonferenz veranlasste, eine Hilfsinitiative gegen Hunger und Krankheit in der Welt zu starten, die dann den Namen „Misereor“ zu Deutsch: „Ich erbarme mich“ erhielt. 1959 wurde unter diesem Namen die erste Fastenkollekte durchgeführt, damals noch in enger Anlehnung an das Päpstliche Werk der Glaubensverbreitung, das heutige missio e.V. Die Aufgabenstellung aber war von Anfang an eine andere:

Es ging unabhängig von aller Religions- oder Volkszugehörigkeit um den Kampf gegen Krankheit, Armut, Hunger, Unterentwicklung, Entrechtung. Es ging um den Kampf für Menschenrechte, schulische und berufliche Bildung, kooperative Genossenschaften, Frauenförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbyarbeit zur politischen Bewusstseins- und Willensbildung etc.

1960 zog Misereor auch nach Aachen. Über dreihundert Fachleute aus allen möglichen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit sind heute dort für Misereor tätig. Gut sieben Milliarden Euro wurden für die Entwicklungsprojekt von Misereor seit 1959 eingesetzt. Und doch bleiben gewaltige Entwicklungsaufgaben.

 

„Ich bin nur der bescheidene Sprecher eines Volkes, das sich weigert, sich beim eigenen Sterben zuzusehen, nachdem es passiv zugesehen hat, wie seine natürliche Umwelt starb.“ Diese Worte stammen von Thomas Sankara, dem Präsidenten von Burkina Faso von 1983 bis 1987. Er hat sie auf der Umweltkonferenz 1986 in Paris gesprochen. Sie bringen die sozialpolitische und sozialökologische Dimension der Entwicklungszusammenarbeit auf den Punkt. Aber die Dominanz der europäischen und nordamerikanischen Märkte, auf denen z.T. mit großem Düngemitteleinsatz und hohen Subventionen Lebensmittel im Überfluss produziert und dann zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen werden, erdrücken die Produktion der Kleinbauern. Ein Beispiel ist die Milch: Die aus europäischem Milchpulver und Pflanzenfett hergestellte Milch kostet im westafrikanischen Burkina Faso pro Liter derzeit nur 36 Cent. Bei uns sind das selbst bei Lebensmitteldiscountern derzeit 20 Cent mehr. Die in Burkina Faso selbst hergestellte Milch kostet zwischen 76 Cent und 1,10 Euro. Die bei uns auch zum Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft hoch subventionierte Milchproduktion weist Überschüsse auf. Wenn aber die Milchmenge bei uns auf dem Markt bleibt, brechen die Preise hier wieder ein und Milchbauern sind am Ende. Also sagt man Export. Wenn aber die überschüssigen Milchmengen - einmal abgesehen von Hungerphasen, wie sie jetzt wieder in Ostafrika drohen – in Ländern wie Burkina Faso auf den Markt gebracht werden, dann spülen sie die Klein- und Kleinstmolkereien in Burkina Faso wirtschaftlich gnadenlos vom Markt. Dann bringen sie die Milchwirtschaft dort zur Strecke bringen.

Ähnliches geschieht auch, wenn wir zu unverantwortlichen Billigpreisen T-Shirts in Bangladesch manchmal sogar mit Kinderarbeit herstellen lassen. Denken Sie nur an die tausend und mehr Toten beim Einsturz einer Nähfabrik in Bangladesch. Wenn wir diese T-Shirts nach dreimaligem Tragen in den „wohltätigen Kleidercontainer“ werfen und dann als „Schnäppchen“ z.B. auf dem afrikanischen Markt unters Volk bringen, dann ist das keineswegs wohltätig und auch nicht ökologisch verantwortlich. Diese T-Shirts zerstören z.B. in Westafrika innerhalb kürzester Zeit die landeseigene Nähmanufaktur und Bekleidungsindustrie.

 

Hier mit einem wachen Gerechtigkeitsempfinden, mit einem Weltgewissen, mit einem Blick für das Weltgemeinwohl, Herstellungs- und Vermarktungsprozesse kritisch zu betrachten, das ist die eine Aufgabe von Misereor. Und darum redet uns Misereor ins Gewissen. Die andere Aufgabe von Misereor ist die, durch gezielte entwicklungsspezifische Programme Hilfe zur Selbsthilfe technisch zu organisieren und menschlich zu realisieren.

 

Wir Katholiken dürfen stolz sein, dass wir mit Misereor ein so hoch kompetentes und dazu noch das größte private Hilfswerk Deutschlands vorweisen können. Und wir sollte diese Qualitätsarbeit nach Kräften unterstützen. Aber wenn man einmal kritisch schaut, dann entsprachen die 60 Millionen an Spendengeldern bei der letzten Misereor-Aktion angesichts von 23 Millionen Katholiken in der Bundesrepublik 2,61 €uro pro Person. Das ist nicht nichts, aber ist doch gewiss noch deutlich steigerbar.

 

Vor vielen Jahren gab es bei Misereor den Slogan: „Gib dem Hungrigen einen Fisch, und er wird einen Tag lang satt. Lehre ihn fischen, und er wird nie mehr hungern.“ Heute müsste hinzugesetzt werden: Hilf ihm auch, ökologisch verantwortlich, nachhaltig, ressourcenschonend die nötigen Fischfanggründe zu sichern. In einer Rede vor der Uno 1984 meinte der schon zitierte damalige Präsident von Burkina Faso, Thomas Sankara: „Sicherlich befürworten wir Hilfe, die uns hilft, auf Hilfe zu verzichten.“ Misereor heißt „mich erbarmt des Volkes“, oder „ich habe Mitleid mit den Menschen“. Wer Mitleid kennt, wird nicht zum Klageweib oder zum Jammerlappen. Mitleid meint ja nicht Weinerlichkeit und nicht Selbstmitleid. Das wirklich gefühlte Mitleid legt den Transmissionsriemen zur getanen Mitmenschlichkeit auf. Denn das wirkliche Mitleid ist das wirksame Mitleid. Nur wer selber kein Mitleid kennt, nur wer selber mitleidlos ist, der ist wirklich bemitleidenswert. Wer selber kein Erbarmen kennt, der ist wirklich menschlich erbärmlich.

Aufruf zur MISEREOR-Aktion Recklinghausen 2010: v.l.n.r: H.B.Terbille, Pfr. A. Wiggeringloh, M. Voß, G. Möllers, Ch. Sommer (Foto: privat)
Aufruf zur MISEREOR-Aktion Recklinghausen 2010: v.l.n.r: H.B.Terbille, Pfr. A. Wiggeringloh, M. Voß, G. Möllers, Ch. Sommer (Foto: privat)
Aktionen „Trommelreise“ und „Solibrot-Aktion mit den Kindergärten 2017
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